Es ist eine steife Brise aufgezogen. Kräftig und gleichmäßig weht der Westwind. Ideale Bedingungen also für den Windpark nahe der Nordseeküste. Doch keines der Räder dreht sich. Die Anlagen stehen still. Spaziergänger, die mit dem Wind kämpfen müssen, wundern sich: Was ist da los? Umweltfreunde sind empört: Warum wird ausgerechnet jetzt kein Strom produziert, wo die Ausbeute am höchsten wäre?
Die Anwohner kennen das freilich. Immer wieder werden die Anlagen vom Netz genommen und die Rotoren aus dem Wind gedreht. Und nicht nur in Dithmarschen. Landauf, landab werden gerade dann, wenn die Wetterbedingungen ideal sind, hunderte, wenn nicht tausende von Windkrafträder abgeregelt. Das deutsche Stromnetz ist zu Spitzenzeiten immer häufiger überlastet, es kann die Mengen an Windstrom oft einfach nicht mehr aufnehmen.
Doch es gibt zahlreiche Möglichkeiten, überschüssigen erneuerbaren Strom zu nutzen. Damit lässt sich beispielsweise Wasserstoff erzeugen, der in das Erdgasnetz eingespeist wird und private Haushalte und Firmenkunden versorgt. Das deutsche Erdgasnetz hat eine ungeheure Kapazität. Es kann Wasserstoff aufnehmen, der einer Windstrom-Erzeugung von mehreren Milliarden Kilowattstunden entspricht. "Power-to-Gas" heißt die Umwandlung von Strom aus erneuerbaren Quellen in Wasserstoff.
"Auch als Kraftstoff lässt sich Wasserstoff verwenden in Autos, Bussen und Lastwagen, die einen Brennstoffzellen-Antrieb haben", erläutert Hannes Seidl. Er ist bei der Deutschen Energie-Agentur (dena) verantwortlich für die Strategieplattform Power to Gas. Nicht zuletzt ist Wasserstoff Rohmaterial für die Chemie. Er kann bei der Produktion vieler Chemikalien andere Rohstoffe ersetzen.
Umdenken ist notwendig
Mithin lässt sich Wasserstoff, der mit Grünem Strom erzeugt wird, in vielfältiger Weise verwenden. Experten wie Professor Michael Sterner von der OTH Regensburg sprechen daher von Power-to-X. "Die technischen Verfahren sind reif für die Markteinführung", sagt Sterner. "Der große Hemmschuh sind die Abgaben. Unternehmen, die die Power-to-Gas-Technologie anwenden, werden behandelt wie Endverbraucher. Sie müssen die gleichen Steuern und Abgaben zahlen", erläutert Professor Sterner. Das sei ein grundlegender Fehler im System. Denn Unternehmen, die mittels Windstrom Wasserstoff gewinnen, wandeln ja nur einen Energieträger in einen anderen um. Damit sich Power-to-X-Technologien durchsetzen können, ist ein grundsätzliches Umdenken notwendig vor allem in der Politik. "Nicht Strom, sondern Energie muss auf seinem Weg zum Verbrauch betrachtet werden", sagt Peter Röttgen, Geschäftsführer des Bundesverbandes Erneuerbare Energien (BEE). Bislang werden die verschiedenen Energieträger als weitgehend getrennte Bereiche betrachtet. Power-to-Gas-Technologien überspringen jedoch die traditionellen Grenzen zwischen den einzelnen Energiesektoren, insbesondere zwischen Strom und Gas.